21 | Über die Grenze des Schachbretts

21 | Über die Grenze des Schachbretts

2560 1920 Clemens Pistauer

Quelle: pixabay

Spielen Sie Schach? Wenn ja – ausgezeichnet. Wenn nein, dann wird Sie dieser Artikel vielleicht trotzdem interessieren. Ich beschäftige mich darin nicht mit den Feinheiten des Schachspiels, sondern damit, was uns ein Schachbrett möglicherweise über unseren Verstand mitteilen kann.

Im Allgemeinen wird das Schachspiel ja als ausgezeichnetes Training für den Intellekt betrachtet. Warum ist das so? Was können wir von einem Schachbrett über den Verstand und seine Grenzen lernen?

 Zunächst kann man wohl sagen, dass das Prinzip des Schachspiels auf einer Zweiteilung beruht. Es gibt schwarze und weiße Felder und schwarze und weiße Figuren, die sich auf dem Brett bewegen.

Damit bildet das Schachspiel meiner Ansicht nach ganz wunderbar eine der Funktionen bzw. einen hauptsächlichen „Arbeitsauftrag“ unseres Verstandes ab. Der Verstand ist nämlich ein Experte fürs Unterscheiden. Mit  Hilfe des Verstandes können wir Grenzlinien ziehen, Kategorien bilden und „Schubladen“ schaffen, in welche wir die verschiedenen „Dinge“ einordnen können. Der Intellekt hilft uns, Ordnung in die Welt zu bringen, die wir bewohnen. Als Werkzeug könnte man ihn eventuell mit einem Messer vergleichen. Mit einem Messer kann man Sachen zertrennen und zuschneiden, sie aber nicht zusammenfügen. Der Verstand tut sich leicht damit, Unterschiede zu erkennen. Mit Konzepten wie Einheit, Unendlichkeit und Ewigkeit hat er dagegen Probleme. Darum sagen wir ja auch umgangssprachlich: „Das Unendliche kann man sich nicht vorstellen.“

Nun zurück zu unserem Schachbrett: Das Schachbrett mit seinen 64 schwarzen und weißen Feldern bildet ein kleines Universum für sich. Es gibt nahezu unbegrenzte Zugmöglichkeiten. Auf einem Schachbrett herrschen ganz klare Regeln. Das Brett und die Regeln des Spiels bilden ein in sich geschlossenes System, wobei geschlagene Figuren für diesen Vergleich auch noch zum System gehören. Aber es gibt – wie das Foto dieses Artikels deutlich machen soll – auch einen Bereich außerhalb des Bretts und um das Brett herum. So ähnlich ist es auch mit unserem Verstand. Er ist der Herr in seinem eigenen Reich, kann aber keine zuverlässigen Aussagen darüber treffen, was sich außerhalb der Grenzen seines „Reiches“ befindet. Nur, weil er über diese Bereiche nichts aussagen kann heißt es aber noch nicht, dass dort nichts ist. Hier nähern wir uns dem Bereich der Intuition. Ich verstehe unter Intuition die unmittelbare Wahrnehmung der Realität, wie sie ist, abseits von Ideen, Wünschen oder Konzepten.

Immer öfter kommt es vor, dass ich etwas weiß, ohne es intellektuell oder durch die Wahrnehmung meiner fünf Sinne begründen zu können. Dann fragt der Verstand sofort: „Woher weißt du das? Wo ist der Beweis dafür?“ Dann kann ich nur antworten: „Ich weiß es einfach.“

Für gewisse Aufgaben ist der Verstand wunderbar geeignet, aber eben nicht für alles kompetent bzw. die alleinige Instanz. Wenn wir ein Schachbrett als Symbol für das „Reich des Verstandes“ ansehen, könnten wir sagen, dass sich die intuitive Wahrnehmung außerhalb des Schachbretts befindet. Sie ist aber dennoch real und gültig. Ich habe das schon so oft erlebt, dass ich das ruhigen Gewissens sagen kann.

Zum Schluss sicherheitshalber noch eine Klarstellung: Ich habe überhaupt nichts gegen den Verstand. Wir brauchen ihn für unser Leben und Überleben hier auf der Erde. Er ist ein sehr nützliches, vielleicht sogar unentbehrliches  Hilfsmittel, aber er ist nicht der „Master of the Universe“, als der er manchmal gesehen wird.  Ohne den beratenden Einfluss der Intuition, die eine direkte Verbindung zu den größeren Zusammenhängen hat, kann er sogar zum „Master of Desaster“ werden. Darum brauchen wir beides – Intuition und Verstand.

Wie sehen Sie das? Waren Sie auch schon manchmal in einer Situation, in der Sie etwas einfach wussten, ohne es mit Ihrem Verstand begründen zu können? Oder hat Ihr Verstand sogar gesagt: „Nein, das kann nicht sein!“? Wenn Sie wollen, dann hinterlassen Sie Ihre Erfahrungen als Kommentar im Anschluss an diesen Artikel.

Dann können alle anderen LeserInnen und auch ich davon profitieren.

Lesen Sie hier mehr zum Thema Intuition

 

Passend zu diesem Artikel finden Sie hier weiterführende Informationen:
11 | Herz und Verstand
17 | Eindrücke vom 1. Wiener Intuitions-Kongress
28 | Eine Frage des Blickwinkels!
29 | Über die Grenze des Messbaren… 1
31 | Mit dem Unerwarteten rechnen

Und als Kontrast:
19 | 1 und Vieles

2 Kommentare
  • Ich wäre nie auf die Idee gekommen, Intuition mit Hilfe eines Schachbretts zu erklären, aber ich glaube ich weiß, was Du meinst. Mein Zugang zu diesem Thema war ein völlig anderer.
    Vor langer Zeit hab ich einmal gelesen, daß das Allwissen in jedem von uns steckt, es ist nur ganz tief vergraben (entspricht vielleicht dem, was die Psychologen als Unterbewußtsein bezeichnen), aber es gibt eine Möglichkeit darauf zuzugreifen, nämlich durch Meditation. Innenschau kann zumindest eine zarte Verbindung herstellen.

    Vor langer Zeit bin ich durch ein eigentlich belangloses Ereignis sehr erschüttert worden und in eine tiefe Krise gestürzt. Als ich wieder halbwegs in der Lage war, klar zu denken, habe ich mich – um jetzt Dein Bild zu benützen – vor das Schachbrett gesetzt und überlegt welche Figuren ich ziehen muß, um 1. herauszufinden, warum ich so verstört war und 2., wie ich jetzt am besten damit umgehe. "In Gedanken versunken" hab ich dabei über den Schachbrettrand hinausgesehen, und plötzlich fiel mir ein Buch nach dem anderen in die Hände, wobei mir jedes einzelne die Antworten geliefert hat, die ich gesucht habe. So habe ich auch zur Meditation gefunden lange bevor ich H. kennengelernt habe. Immer öfter habe ich mit Staunen festgestellt, wie oft ich eigentlich "rein zufällig" in eine bestimmete Richtung schaue oder gehe und genau dort Richtiges und Wichtiges finde, um ein Problem zu lösen oder auch zu verhüten. Mit den Schachfiguren kann ich dann die richtigen Schritte setzen.

    Ist es das, was Du damit gemeint hast?

    Ganz liebe Grüße.
    Charlotte.

    • Clemens Pistauer 4. April 2018 um 13:29

      Liebe Charlotte!

      Ich finde es sehr bemerkenswert, wie du deine praktische Kombination von Verstand und Intuition beschrieben hast. Das ist so ein Fall, der mir als Idealfall vor schwebt. Du hast, wenn ich das richtig verstanden habe, in der damaligen Situation deinen Verstand als analytisches Werkzeug verwendet, um herauszufinden, was du nun tun kannst. Und gleichzeitig hast du dich für höhere Eingebungen, die aus dem Bereich jenseits des Verstandes kamen, offen gehalten. Das ist wirklich ein sehr schönes Beispiel dafür, dass es nicht um ein „entweder – oder“ geht, sondern um ein „sowohl als auch“.

      Die beiden Werkzeuge Verstand und Intuition ergänzen einander. Schwierig wird es dann, wenn der Verstand für sich das alleinige Monopol in Anspruch nimmt – also wenn er alles andere, was er sich nicht erklären kann, ausschließt und für ungültig erklärt. Das Problem bei intuitiver Wahrnehmung ist nämlich oft, dass wir sie eben nicht „beweisen“ können (jedenfalls zum Zeitpunkt der Wahrnehmung). Das gefällt dem Verstand natürlich überhaupt nicht.

      Ein indischer Weiser hat angeblich einmal gesagt: „Der Verstand ist ein zweischneidiges Schwert. Man kann ihn dafür verwenden, die Schleier der Unwissenheit zu durchtrennen, oder dazu, sich damit selbst zu enthaupten.“ Du hast ihn in deinem Beispiel dafür verwendet, dir Klarheit zu verschaffen, ihn also zum Durchtrennen der Schleier. Ich danke dir für dieses großartige Beispiel!

      Liebe Grüße!

      Clemens

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